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Widget Marketing – Involvement statt Reichweite

Sandra Goetz, 22. Januar 2009

Die Vervielfältigung digitaler Formate und Anwendungen ist für viele Unternehmen ein Fluch. Gerade in der Film-, Musik-, Software- und Spielebranche kämpft man immer noch gegen die unerwünschte Vervielfältigung. Für das Marketing kann die Verbreitung digitaler Inhalte und Applikationen à la Viral, Buzz und Word of Mouth dagegen ein echter Segen sein. Der Treibstoff für eine Verteilung im Netz sind Ideen mit einem extrem hohen Entertainmentfaktor oder einem großen Nutzen für den Anwender. Genau beim Nutzen sollen kleine Applikationen oder auch Gadgets ansetzen, die man heutzutage so zahlreich z.B. in Online-Communitys angeboten bekommt. Welche Funktionen bieten diese Web-Applikationen? Wie verbreiten sich Widgets? Und kann man Widgetmarketing schon in herkömmlichen Kategorien der Mediaplanung messen?

Um dem Thema etwas näher zu kommen, haben wir Alexander Hachmann, Gründer der widjet GmbH zum Gespräch gebeten. Die widjet GmbH ist eine Kommunikationsagentur mit dem Fokus auf Internetprojekte und nach eigener Aussage ist sie die erste Agentur in Deutschland, die sich schwerpunktmäßig dem Thema Widgetmarketing widmet.

** Widgets sind kleine Tools, die von Nachrichten, Spielen, Videos und Audio-Playern nahezu alle Funktionalitäten, die man sich vorstellen kann, beinhalten können. Diese kleinen Applikationen fügen Internetuser auf ihrer Webseite, ihrer Social-Network-Seite oder in ihren Blog ein, um so ihr Profil individuell zu gestalten. Widgets sind „das Web à la carte“.

** Ja. Das Schöne an den kleinen Applikationen ist, dass sie absolut flexibel sind. Man muss nur einen Code kopieren und kann das Widget so auf allen dafür offenen Systemen embedden. Offene Systeme sind z.B. die Social Networks MySpace oder Facebook, persönliche Websites oder Blogs. Es gibt sogar Widgets speziell für den Desktop oder für das Handy als mobile Applikationen.

Welchen Nutzen sollen Widgets den Usern stiften?**

A. Hachmann

Hachmann: Stellen Sie sich das Internet wie ein Wohnzimmer vor. Die Gruppe der 25- bis 34-Jährigen, der „Generation Online“, verbringt hier 14,4 Wochenstunden   genauso viel Zeit, wie beim Fernsehen. Das Internet hat heute im persönlichen Alltag der Nutzer auf breiter Front die führende Medienrolle übernommen. So wie man sich im Wohnzimmer gemütlich zusammensetzt, treffen sich junge Leute online in ihren Netzwerken wie MySpace oder Facebook oder ihren Blogs, um sich zu unterhalten und Neuigkeiten auszutauschen. Innerhalb dieser Networks stehen bestimmte Features zur Verfügung, um sich auszudrücken. Möchte ein Benutzer sein Profil persönlicher gestalten, greift er auf Widgets zurück.

Es gibt für die User verschiedene Möglichkeiten, die Widgets auszuwählen: Entweder greifen sie auf den „Widgetpool“ der Netzwerke zurück, bekommen das Widget direkt von ihren Freunden empfohlen oder „stolpern“ im Netz über ein Widget, finden es gut und fügen es von dort mit wenigen Klicks auf ihre persönliche Profilseite oder in ihren Blog ein. Da die meisten Widgets nicht von den Netzwerken selbst produziert sind, erweitern die Widgets so die Features des Netzwerkes.

Jedes Widget ist ein Teil der Wohnzimmereinrichtung und fokussiert auf eine bestimmte Aufgabe. Zum Beispiel: Widget 1, das „News-Widget“, liefert dem User schnell neue und spannende Informationen von einem Unternehmen. Widget 2, das „Musik-Widget“, öffnet einen direkten Zugang zu neuer Musik und Hintergrundinformationen. Widget 3, das „Shopping-Widget“, bietet sofortigen Zugang zu den angebotenen Produkten und aktuellen Schnäppchen. Die Möglichkeiten und Einsatzgebiete sind so vielfältig, wie die angebotene Themenauswahl.

Unsere Bildschirme bieten aber nur begrenzt Platz, wie sieht es mit der Lebensdauer der Masse von Widgets aus?

Hachmann: Die Lebensdauer der Widgets ist abhängig von ihrer Funktion. Es gibt kurzfristige Widgets und langfristige Widgets. Um das Wohnzimmerbeispiel noch einmal aufzugreifen, gibt es z.B. ein kurzfristiges Widget wie eine Tüte Chips oder auf Widgetebene ein Widget, was zeitlich begrenzt ist und mich z.B. als „Countdown-Widget“ bis zum Start des neuen Kinofilms über Neuigkeiten informiert. Auf der anderen Seite gibt es langfristige Widgets, wie ein Sofa oder auf Widgetebene ein News-Widget, das mich kontinuierlich über speziell ausgewählte Themen informiert. Außerdem bieten die meisten Networks verschiedene Seiten an, auf denen man die Widgets je nach Funktion platzieren und sie so sinnvoll verteilen kann.

Wie verbreiten sich Widgets?

Hachmann: Ein erfolgreiches Widget stiftet Nutzen: es macht Spaß, ist spannend und kurzweilig, einfach zu benutzen und ermöglicht eine positive Selbstdarstellung. Unter diesen Voraussetzungen verbreitet sich ein gutes Widget ausgehend vom „First Mover“ fast von ganz alleine durch aktive und passive Empfehlung. Aktiv, indem Benutzer das Widget per E-Mail weiterempfehlen, und passiv, durch eigeniniierte Besucher des Profils. Daraus ergeben sich im Idealfall unzählige Kontakte zweiten Grades. Man sagt auch, dass Widget verbreitet sich viral, d.h. epidemisch.

** Social Networks spielen hierbei die größte Rolle. ComScore, ein globaler Internetinformationsanbieter, schätzt, dass 65 Prozent aller Unique Visits auf beruflicher wie auf privater Ebene auf Social Networks zurückgehen. Wenn wir uns das ansehen, können wir hier schon nicht mehr von einem Trend, sondern müssen von einer weltweiten Bewegung sprechen. Social Communities sind ein fester Bestandteil des sozialen Lebens geworden: 25 Prozent der Menschen bewegen sich zurzeit in ihnen. Und innerhalb der Social Communities haben sich Widgets als beliebte Möglichkeit etabliert, um Nutzerprofile individuell zu gestalten.
Damit stehen die Social Networks für ein riesiges Vermarktungspotenzial, das mehr und mehr die tradierten Geschäftsmodelle infrage stellen wird. Viele klassische Medien erleben den sich vollziehenden Wandel an stagnierenden oder sogar rückgängigen Reichweiten. Durch Widgets haben Unternehmen die Möglichkeit, an der Kommunikation zu partizipieren und aktiv dazu beizutragen.

** Widgets funktionieren in allen offenen Netzwerken, wie z.B. den Social Networks MySpace oder Facebook, aber auch auf allen Blogs und jeder Art von eigener Website. Social Networks sind nur ein Element. Die Widgets werden grundsätzlich kostenfrei in den „Widgetpool“ der Netzwerke aufgenommen. Die Netzwerke profitieren ja davon, ihre Features zu erweitern und den Usern einen kostenfreien Service zu bieten.
Gehen die meisten Widgets nicht komplett unter in der Flut an Anwendungen in Social Networks?  Hachmann: In der Flut gehen sie nur dann unter, wenn sie keine eigenständige Funktion haben. In der viralen Welt ist es wie im wirklichen Leben: langfristig setzt sich Qualität durch.

Lässt sich die Reichweite eines Widgets messen, d.h., wie viele Unique Nutzer es gab?

Hachmann: Prinzipiell können genauso wie für eine Website alle Daten über das Widget statistisch erhoben werden, also auch, wie viele User das Widget nutzen. Die registrierten Nutzer sind aber eine unzureichende Kennzahl. Um die Erfolge einer Kampagne messen zu können, ist das Wissen um die „Stickiness“ viel interessanter. Stickiness bezieht sich in erster Linie auf die Nutzungsdauer, d.h., wie aktiv ist der Nutzer und wie intensiv beschäftigt er sich mit dem Widget.

Welche Vorteile hat ein Unternehmen durch die Nutzung eines Widgets?

Hachmann: Gegenüber der Verbreitung anderer Online-Marketingmaßnahmen ist Widgetmarketing sehr persönlich und zielgerichtet und dabei kostengünstig. Im Vergleich zu klassischen Werbemaßnahmen können die Preise nicht in TKP angegeben werden. Für das Web 2.0 gibt es noch keine Kennzahlen 2.0. Viel wertvoller ist das „Involvement“ und die Identifikation der Nutzer. Identifiziert sich ein Nutzer mit dem Widget eines Unternehmens, ergibt sich daraus für das Unternehmen die Chance, mit den Kunden zu interagieren. Das Unternehmen hat über das Widget aber auch die Möglichkeit, neue Nutzer zu generieren, den Verkauf anzukurbeln, sich ein innovatives Image zu verschaffen und sich von Wettbewerbern abzugrenzen. Bisher setzt z.B. kaum ein deutscher Online-Händler Widgets ein, wie eine Marktanalyse des Bundesverbandes für Digitale Wirtschaft bestätigt. Immer noch haben etwa neun von zehn Shop-Betreibern keinerlei Erfahrungen mit Widgets. Allerdings wird sich derzeit intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt.

Der Erfolg ist nicht wirklich planbar und nicht steuerbar. Für die meisten Unternehmen kann das doch nur ergänzend zu anderen Instrumenten eingesetzt werden, oder?

Hachmann: Die Frage ist, was bedeutet planbar? Ein Mediaplaner kann den besten Plan aufstellen und am Ende läuft die Kampagne trotzdem nicht. Erfolg ist ja nicht nur eine Frage des Geldes. Das entscheidende Kriterium ist die Qualität. Ist ein Widget erfolgreich und können sich die User mit dem Widget identifizieren, wird sich das Widget im Netz verbreiten. Aber es stimmt natürlich, dass der Erfolg eines Widgets mit den aktuellen Kennzahlen nicht planbar ist. Neue Online-Kanäle wie Widgetmarketing brauchen neue Kennzahlen, um das Marketing-Potenzial korrekt einschätzen zu können. Es ist ein häufiger Fehler, dass Werbetreibende Kennzahlen aus den klassischen Dialogmarketing-Kanälen eins-zu-eins in das Online-Marketing überführen wollen.

Besten Dank für das Gespräch!

Über den Autor/die Autorin:

Sandra Goetz ist seit 2006 als freie Autorin für ADZINE an Bord. Ihr Fokus liegt auf Interviews zu aktuellen Innovationsthemen im digital Media und Marketing. Außerdem schaut sie sich bei ihren Auslandsreisen immer wieder nach spannenden Geschichten aus der globalen Marketing-Welt um, Interviews inklusive. Seit 2016 verantwortet Sandra die ADZINE Entscheider-Serie.

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