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Kontrollverlust kontrollieren (Teil 2)

Karsten Zunke, 14. Dezember 2007

...weiter gehts

Multiplikatoren einbinden

Multiplikatoren sollten ins eigene Business eingebunden werden. Sie um Rat zu fragen oder zur Hauptversammlung einzuladen, ist dabei nur der erste Schritt. Denn Word of Mouth zu Ende gedacht bedeutet, Verbraucher in Unternehmensprozesse zu integrieren.
Ein Paradebeispiel ist Procter and Gamble. Der Konsumgüter-Gigant betreibt in den USA zwei sogenannte Customer Influencer Panels: Tremor für Jugendliche und Vocalpoint für Mütter mit kleinen Kindern. Dort verbessern Verbraucher Produkte. Sie können eigene Ideen und Vorschläge schon im Entwicklungsstadium einbringen. In den Panels sammelt das Unternehmen einflussreiche Kunden, die ihre Meinung zu Produkten und Services gern mit anderen teilen, in sozialen Netzwerken verankert sind und es lieben, Neuigkeiten zu verbreiten. "Bei negativer Kommunikation gilt es abzuwägen, wie intensiv diese geführt wird. Nicht immer muss man in diesen Dialog mit großen Worten einsteigen. Man könnte beispielsweise Links platzieren, welche die Aussagen bestimmter User als überflüssig erscheinen lassen", rät Uhl.

Parallelwelten

Mit den gescreenten Informationen können Firmen aber nicht nur ihr Marketing verändern und Angebote oder Produkte verbessern, auch die Öffentlichkeitsarbeit lässt sich optimieren. "Vor allem große Firmen haben immer Neider - egal wie gut oder schlecht das Unternehmen und seine Produkte sind", sagt Michael Konitzer, Principal Consultant der Agentur Ray Sono in München. Damit reiche es heutzutage nicht aus, lediglich hochwertige Produkte und exzellenten Service zu bieten, um eine gute Publicity zu erhalten. "Im Internet hat sich längst eine parallele PR-Welt herausgebildet. User beziehen immer mehr Informationen aus Quellen, die nicht von Unternehmen kontrolliert werden. Darum müssen die Anbieter lernen, den Kunden zuzuhören", begründet Konitzer die Notwendigkeit eines Webmonitoring.

Selbst eine Auswertung von Suchanfragen kann sinnvoll sein. Ein auf Südafrika spezialisierter Reiseanbieter konnte so beispielsweise sein Marketing und sein Angebot verbessern. Dazu analysierte Ray Sono, wonach User im Web im Zusammenhang mit Südafrikareisen noch suchen. Es stellte sich heraus, dass der Geldtransfer eines der wichtigsten Themen für die Interessenten war. Also promotet der Reiseanbieter seine Destinationen in Südafrika nun mit dem Hinweis, wie man im Reiseland auf einfache Weise auf sein Geld zugreifen kann. Die Analyse der Suchanfragen hatte auch Auswirkungen auf das Angebot, denn die Wunsch-Reiseziele ließen sich in diesem Zusammenhang sehr gut ermitteln. Der Reiseanbieter konnte daraufhin sein Produktangebot optimieren.

Ray Sono setzt für das Monitoring auf ein semiautomatisches Vorgehen, bei dem zunächst in Zusammenarbeit mit dem Kunden Keywords manuell festgelegt werden. Dann durchsucht ein Webcrawler automatisch das gesamte Internet. Die Suchergebnisse werden von den Experten analysiert, semantisch signifikante Themen herausgearbeitet und zu Themenclustern zusammengefasst. "So können wir die zentralen Quellen analysieren und Multiplikatoren identifizieren. Außerdem werden die 'Schaltstellen' sichtbar, an denen die Informationen und Meinungen im Netz an die großen Medien übergeben werden", erläutert Konitzer.

Software mit Grammatik-Kenntnissen

Einen anderen Ansatz verfolgt Interone Worldwide. Die Agentur nutzt eine Software, die nicht das gesamte Internet durchforstet. "Wir definieren aus der Fragestellung heraus einen Quellensatz, den wir als Nährboden für unser Problem sehen", erläutert Christian Gast, Director Innovations Interone Worldwide, Hamburg. Diese Informationsquellen werden regelmäßig eingelesen und analysiert. "Hier haben wir die wichtigsten Foren, Communites, Blogs und Userportale identifiziert, einen eigenen Bewertungsmaßstab angelegt und verschiedene Kriterien aufgesetzt. Der resultierende Themen-Mix ist zunächst allgemein", so Gast. Darauf hat die Agentur jedoch Begriffswelten aus den Sigma-Milieus* gelegt und kann dementsprechend für jeweilige Nutzergruppen relevante Themen identifizieren. Im zweiten Schritt nimmt eine Software jeden Satz auseinander. Die Lösung kann die Texte lesen, analysieren und verstehen. Gemeinsam mit dem französischen Anbieter hat die Agentur diese Software webtauglich gemacht. Mit ihr kann im Internet nicht nur auf Dokumentenebene à la Google gesucht werden, sondern sie versteht die Sprachstruktur, so dass Analysen auf Satzebene möglich sind. "Wir suchen nicht nach Dokumenten mit Schlüsselwörtern, sondern nach Sätzen mit diesen Wörtern. Die Software ist zudem in der Lage zu unterscheiden, um welchen grammatikalischen Satzbestandteil es sich handelt. Sie kann Subjekt, Prädikat und Objekt erkennen", erläutert Gast. Auch hier gilt das Motto. Die Software übernimmt die Massenbearbeitung, die Experten sichten die Infos und ordnen sie ein.

Endlich weg vom Kampagnen-Tanker

Für Gast ist das Opinion Mining ganz klar im Marketing verankert. "Wir wollen mit Opinion Mining Insider-Informationen über die Zielgruppen erlangen und kreative Anstöße generieren, um Kampagnen effizienter zu steuern. Unsere Vision ist es, vom schwerfälligen Tanker 'Kampagne' wegzukommen, bei dem am Anfang ein Budget geplant wird und dann alles automatisch abläuft. Sowohl inhaltlich als auch bei der Mediaschaltung könnten Marketer online heutzutage viel flexibler agieren", sagt Gast. Wer beispielsweise Suchmaschinenmarketing betreibe und wisse, über was seine Zielgruppe aktuell diskutiert, könnte sofort reagieren, entsprechende Keywords definieren und zur Diskussion passende Produkte in Suchmaschinen bewerben. Auch für das Produktmanagement kann das Feedback von Konsumenten wichtig sein. "Aber viel wichtiger ist es, die Reaktionszeit in der Kommunikation zu beschleunigen", meint der Innovations-Chef. Und das kann schon mal auf kurzen Wegen erfolgen: Eine punktuelle Ansprache von Leuten, die negative Meinungen verbreiten, sei nach seinen Erfahrungen unglaublich wirksam.

Doch bis dahin ist es in vielen Unternehmen noch ein weiter Weg. Nur allzu oft ignorieren Führungskräfte die Diskussionen im Web 2.0 - aus Angst falsch zu reagieren. Zudem geht der Überblick über die stetig wachsenden digitalen Meinungsäußerungen schnell verloren. "Zunächst geht es darum, dem Marketing die Unsicherheit des Kontrollverlustes zu nehmen", konstatiert Gast.

*SIGMA Milieus reflektieren die psychische Prädisposition der Konsumenten und vernetzen sie mit der Nutzung oder Ablehnung von Produkten und Marken.

Bild Karsten Zunke Über den Autor/die Autorin:

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