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Contextual Osterei in Dortmund

Jens von Rauchhaupt, 13. April 2006

Wer sucht, der findet ein äußerst interessantes Osterei in Dortmund und nicht wie zunächst zu vermuten wäre, im kalifornischen Mountain View. Die Adinside GmbH verspricht mit ihrem selbst entwickelten semantischen Analysewerkzeug eine erhebliche Verbesserung der Treffergenauigkeit von kontextbezogener Werbung im Internet. Bereits Anfang Mai wollen die Westfalen im Verbund mit dem Kölner Online Vermarkter Ad2Net den Markt aufmischen. Das überrascht auch Insider. Eigentlich hatte man angenommen, dass Onlinevermarkter ad pepper media nach dem Kauf von Crystal Semantics und dessen Analysetool Textonomy die Nase vorn hätten. Jetzt scheint Adinside als erstes Unternehmen in der Lage zu sein, Onlinewerbung den relevanten Webinhalten automatisch zuordnen zu können.

Es geht um eine Technologie, die auch mit Sprachkatalogen, Wortassoziationen und nicht nur mit höheren Algorithmen wie Googles Adsense arbeitet. Mit ihrer Hilfe will man nun den Gesamtsinn eines Textes einer Webseite erkennen können. Das folgende Beispiel soll das Einsatzgebiet von semantischen Analysetools verdeutlichen: Ein Internetanwender liest in der Wissenschaftssparte von spiegel.de über die zwei jüngst entdeckten schwarzen Löcher, die sich vor 325 Millionen Jahren - nun für uns Menschen sichtbar - anschickten, sich zu einem einzelnen riesigen schwarzen Loch zu vereinigen. Der Beitrag stammt vom 7. April dieses Jahres. Ein Angebot von bol.de für ein Buch über schwarze Löcher im Besonderen oder über Astronomie im Allgemeinen wäre jetzt neben dem Text ein erfolgsversprechender Werbeeinsatz bei spiegel.de.

Tatsächlich findet der Leser neben dem besagten Artikel ein Werbebanner für Autoversicherungen und darunter wechselnd, Anlageempfehlungen unterschiedlichster Banken und Fonds. Schwarze Löcher haben wenig mit Automobilen, Versicherungen oder Kapitalanlagen zu tun und es bleibt zu befürchten, dass der Leser sich reichlich wenig für diese Werbung interessieren wird. Vielmehr war es der Wissensdurst über astronomische Vorgänge, der den Leser auf diesen Artikel aufmerksam gemacht hatte. Nun wollen bald Analysetools wie das von Adinside den Gesamtsinn des Textes einer Webseite so erkennen können, dass ein passendes Werbebanner - wie hier eine Kaufempfehlung für ein Buch über Astronomie - die Webseite effizient verziert.

Entwicklung vollzieht sich schrittweise

"Wir werden im Mai mit kontextbezogenen Texthervorhebungen beginnen und in etwa zwei Monaten die sinngemäße Zuordnung von Werbebannern zum Inhalt eines Textes realisieren", äußert Geschäftsführer Ivo Leunig von Adinside gegenüber ADZINE. "Dabei setzt unsere Technologie von Beginn an auf Multilingualität." Leunig selbst kommt aus dem Bereich des Wissensmanagements und sammelte mit seinen Partnern im Schwesterunternehmen Amenotec Evolution und der Hochschule Gelsenkirchen/Bocholt das nötige Know-how für das Analysetool Adinside. Was hier wirklich überrascht, ist das Tempo, das Adinside nun vorlegt.

Konkurrent Prof. Dr. Crystal benötigte acht Jahre, um für seine "Sense Engine Textonomy" mehr als 2.000 Sprachkataloge zu entwickeln und ließ sich dies nun mit einem Verkauf seiner Patente an den international aufgestellten Online Vermarkter ad pepper media versüßen. "Semantische Analysetools sind keine Magie, sondern das Ergebnis jahrelanger Forschung", sagt Niels Nüssler, Vertriebsvorstand von ad pepper media. "Unser System wird im dritten Quartal dieses Jahres hochgefahren, zunächst auf Englisch, die anderen Sprachen folgen schrittweise im Zweimonatstakt." Acht Millionen US Dollar blätterte ad pepper für diese Technologie hin und verspricht sich eine "erhebliche Aufwertung der Netzinhalte, die natürlich die Preise für diese Art von kontextbezogener Werbung im Internet steigen lässt. So etwas muss der Markt erst realisieren", erklärt Nüssing auf Nachfrage von ADZINE. Auch ad pepper will mit Texthervorhebungen, wie sie in ihrer Erscheinungsform bei Intellitxt bekannt sind, beginnen.

Die Zuordnung der Werbung zum Textinhalt einer URL ist nun aber eine völlig andere als bei Intellitxt: "Adinside setzt automatisierte Sprachkataloge und besondere Suchverfahren ein. Diese erkennen Wörter und Phrasen, mithin den gesamten Inhalt des Textes", erklärt Leunig. Besonders pfiffig: "Auch negativ beladene Assoziationen kann unser System erkennen. Eine Meldung über einen Unfall mit einem Mercedes würde dann zum Beispiel keine Werbung für Daimler Chrysler auslösen."

Testphase abgeschlossen

Bei Testläufen von Textonomy stellte ad pepper eine Treffergenauigkeit der Zuordnungen von etwa 99 Prozent fest. Dabei konnte man in einem geschlossenen Testsystem eine Erhöhung der Responseraten zwischen 50 und 200 Prozent erzielen. Leunig zeigte sich von diesem Ergebnis wenig beeindruckt: "Wir haben unser System ausgiebig getestet und ganz ähnliche Ergebnisse erzielt." Die Selbstsicherheit des Westfalen könnte noch eine andere Ursache haben. Adinside hat gerade den Zukunftswettbewerb Ruhrgebiet gewonnen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass die Dortmunder hart gearbeitet haben.

Nach Abschluss der Testphasen geht es nun für beide Wettbewerber darum, die Analysetools in die jeweiligen Werbenetzwerke einzubinden. Hier liegt wahrscheinlich ein Grund für den Zeitvorsprung von Adinside. Ad pepper media greift im weltweiten Werbeverbund auf über 15.000 Webseiten zu, während der europäische Online Vermarkter Ad2Net ein Netzwerk von 120 Premium-Webseiten vorweisen kann und sich schon jetzt auf den Einsatz der neuen Technologie Anfang Mai freut.

Vorteile klar ersichtlich

Wenn diese semantischen Analysewerkzeuge wirklich ihrem Anspruch gerecht werden, liegen die Vorteile dieser Technologie gleich mehrfach auf der Hand: Seitenbetreiber und ihre Vermarkter könnten mit genauem Targeting bei ihren Werbekunden hausieren gehen. Höhere Responseraten sind wegen des Sinnzusammenhanges zwischen Werbung und Inhalt einer Webseite zu erwarten.

Älterer Webinhalte und Archive behielten einen Wert, der mit Hilfe von Werbung weiterhin finanziell einträglich blieb. Die Leser von archivierten Inhalten müssten im besten Fall auch nicht zur Kasse gebeten werden, da dieser Webinhalt weiterhin mit bezahlter Werbung sinnvoll besetzt wäre. Auch Foren und Webblogs würden wegen der Kontextbezogenheit an Bedeutung für die Werbewirtschaft gewinnen.

Letztlich hätten vor allem die Werbekunden etwas davon: die Werbeeinblendungen fänden endlich den relevanten Raum, den sie benötigen, um bei der richtigen Zielgruppe anzukommen. Streuverluste würden sich erheblich vermindern, die Rückkanäle würden sich verbreitern.

Bedenkenträgertum

In Anbetracht des globalen Einsatzes von Zeit und Geld sind die bisherigen Ergebnisse im Bereich der Erkennung von Texten nach ihrem Sinngehalt äußerst dürftig. Schon oft konnte die Forschung die hoch gesetzten Erwartungen nicht erfüllen. Es handelt sich um ein komplexes Themengebiet, in dem immer wieder das Schlagwort der "künstlichen Intelligenz" fällt. Natürlich lassen sich die Entwickler von Adinside oder Textonomy nicht in die Karten schauen. Nur die Entwickler kennen den tatsächlichen Anteil von Mathematik, Statistik und Sprachforschung. Einzig das Ergebnis wird über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Das erste Osterei kann Anfang Mai gefunden werden. Ein Informatiker brachte seine wissenschaftlichen Bedenken zu diesem Thema auf Nachfrage von ADZINE auf den Punkt: "We believe it when we eat it." Na dann, Guten Appetit und Frohe Ostern!

Über den Autor/die Autorin:

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