Adzine Top-Stories per Newsletter
PUBLISHING

Internet gucken

Karsten Zunke, 9. Februar 2006

Stifte fallen lassen, Computerboxen laut stellen, Internet gucken: Seit November 2005 wird in vielen deutschen Büros endlich wieder gelacht - zumindest wenn man den Kommentaren der Zuschauer von Ehrensenf glauben darf. Gut vier Minuten dauert die TV-Show, die nur im Internet zu sehen ist. In manchen Büros sollen sich die Chefs mittlerweile sogar dazugesellen.

Von Montag bis Freitag führt Moderatorin Katrin durch die Welt des Alltäglichen und des Unfassbaren. Ob George Bush, Brad Pitt, Angela Merkel oder Heidi Klums Vater - jeder bekommt seinen Senf weg. Sie stellt absurde Produkte, tolle Websites oder knifflige Online-Games vor: Vom Getränkehalter für den PC über Tränengas-Handys und Katapult-Uhren bis hin zu 1D-Tetris. Mit einem Format, das man so nur aus dem Fernsehen kennt, will Ehrensenf im Internet unterhalten und dabei ein möglichst großes Publikum erreichen. Deshalb möchten die Macher mit ihrer Sendung künftig auch Geld verdienen.

Die Kombination der beiden Werbemedien Internet und TV bietet zahlreiche Vermarktungschancen. Wie vielfältig die Möglichkeiten im Bereich Web-TV sind, zeigen andere Angebote. Beispielsweise bietet bluecom.tv ein kostenpflichtiges Login für sein Programm an, das von Musik über Kinotrailer bis hin zu Erotikfilmen reicht. Borscht.tv, eine Internet-Crime-Soap mit Detektiv Horst Borscht, setzt hauptsächlich viele Querverweise zu anderen Medien: auf das Buch zur Serie, den Comic, die DVD oder das Bühnenstück. CoolTV das unabhängige, werbefreie Schweizer Web-TV mit ständigem Geldmangel ist auf der Suche nach Sponsoren und bei kurzfilm.de möchte man demnächst ausgewählte Filme auf CD anbieten.

Abo fürs Handy

Auf der Ehrensenf-Website gibt es derzeit lediglich Google-Adsense-Anzeigen. Die entsprechenden Werbeeinnahmen daraus reichen bei weitem nicht aus, um die Kosten zu decken. So finanzieren die beiden Gesellschafter der Kölner Produktionsfirma Ravenrocker, Carola Sayer und Rainer Bender, das Projekt Ehrensenf bisher aus eigener Tasche. Schon bald wollen sie zuverlässige Erlösquellen erschließen: Sponsoring, Werbespots oder als Werbung ausgewiesene redaktionelle Einbindungen - für Sayer ist vieles denkbar, um die Show zu vermarkten. "Wir werden in Kürze die Sendung auch als kostenpflichtiges Abonnement fürs Handy anbieten", kündigt Sayer an. Entsprechende Gespräche stünden kurz vor dem Abschluss. Da es sich um ein Fernsehformat im Internet handelt, wollen die Macher in der TV-Show künftig auch Werbespots ausstrahlen. "Es bietet sich an, nicht nur auf Bannerwerbung zu setzen", so Sayer. Außerdem wolle man sich nicht an einen großen Online-Vermarkter binden, sondern neue Wege beschreiten.
Wie solch neue Wege aussehen können, hat das amerikanische Internet-TV Rocketboom in diesen Tagen bewiesen. Auf eBay versteigerten die New Yorker fünf Werbespots für 40.000,- US-Dollar. Auch Merchandising ist für Sayer und Bender eine Option, die ausgetestet wird. Die ersten Ehrensenf-T-Shirts sind bereits fertig.

Ausbau zum Sender denkbar

"Wenn sich das Format trägt, wollen wir weitere Sendungen produzieren. Es ist denkbar, das wir Ehrensenf zu einem kleinen Sender auszubauen", sagt Sayer. Die Firma hat ihre Büros in einem ehemaligen Ladenlokal im belgischen Viertel in Köln. Der Raum, der heute als Studio dient, war ursprünglich als Küche vorgesehen. Er wurde von einem Studiobauer professionell umgebaut. Dabei wurde das Studio so ausgelegt, dass auch Shows mit Studiogästen aufgenommen werden können. TV-Star Kaya Yanar war bereits als "mechanischer Türke" zu Gast und verdiente sich 50 Cent...
Während in vielen anderen Web-TV-Formaten eher schlecht oder gar nicht geschnittene Beiträge mit vor sich hin nuschelnden Geschichtenerzählern über den Bildschirm pixeln, sticht Ehrensenf durch seine Professionalität hervor. Hervorragende Bildqualität, deutlich gesprochene Beiträge, saubere Schnitte und gut getimte Gags. Das verwundert nicht, denn die beiden Produzenten haben ihr Handwerk gelernt. Als Autoren und Formatentwickler waren sie für diverse RTL- und SAT1-Produktionen tätig (Die Wochenshow, Sechserpack, Wie bitte?). Rainer Bender war unter anderem Chefautor der ersten Staffel von "Was guckst Du?!" (SAT1) und freier Autor für die Harald Schmidt Show. Auch um Ehrensenf ein Gesicht zu geben, überließen Sayer und Bender nichts dem Zufall: Sie führten ein Casting durch und entdeckten so Moderatorin Katrin. Die Studentin moderiert seit einigen Jahren bei diversen Radiosendern und hatte bereits erste Erfahrungen vor der Kamera gesammelt. Heute ist sie fester Bestandteil des Ehrensenf-Teams.

Knochenarbeit ohne Wasserkopf

Sayer ist überzeugt, dass Fernsehen im Internet eine große Zukunft hat. Heute sei es schließlich normal, sich unabhängig von der Tageszeit mit Produkten aller Art beliefern zu lassen. "Nur beim Fernsehkonsum muss man darauf achten, wann eine Sendung läuft - selbst wenn lediglich der Videorekorder programmiert werden soll", so Sayer. Fernsehen im Web funktioniert hingegen auf Abruf, rund um die Uhr. "Daher denke ich, dass auch die großen Fernsehsender bald nachziehen werden", so die Produzentin. Bereits heute bieten zahlreiche große Fernsehhäuser Videocasts an - allerdings handelt es sich dabei aber um Sendungen, die im Fernsehen bereits liefen und nun in einer Art Bibliothek verfügbar sind. Die Tagesschau kann beispielsweise jederzeit online abgerufen werden und die Videocasts der RTL-Show "Freitag-Nacht-News" haben bereits eine eingeschworene Fangemeinde. Extra Sendungen fürs Internet anzubieten, dürfte den schwerfälligen Fernseh-Tankern hingegen schwerer fallen, als es zunächst scheint. "Wir leisten zwar Knochenarbeit, müssen dafür aber keinen Wasserkopf mitfinanzieren", sagt Sayer über die Arbeit bei Ehrensenf. Deren Macher haben geschafft, was sie sich im Sommer 2005 vorgenommen hatten: Dieses Format als erste im deutschen Markt zu realisieren. Und die momentan 9.500 Unique User pro Tag sind eine solide Basis, um es künftig erfolgreich zu vermarkten.

Über den Autor/die Autorin:

Events

Whitepaper